DIE FRAGE MADAGASKAR
Himmler ist also gezwungen für die europäischen Juden und deren Deportation eine andere Lösung zu finden als Hans Franks Generalgouvernement als “Müllkippe” zu benutzen, wie es die Nazidiktion formulierte. In der Zwischenzeit sind Heydrich und Eichmann damit beschäftigt, die Auswanderung der Juden weiter zu forcieren, wobei die Schwierigkeiten einer “legalen” Auswanderung und Abschiebung sich verschärften. Eine “geregelte” Auswanderung praktisch nicht mehr umsetzbar war. Die Länder der Welt hatten längst ihre Tore geschlossen auch in den sowjetischen Teil Polens konnte man nunmehr über Schleichpfade Menschen verschicken. Die Palästina- Auswanderung wurde angesichts der Kriegssituation von den Briten unterbunden. Heydrich wird im Juni erkennen, dass er keine Möglichkeit einer Auswanderung der Juden mehr sieht und im Kontext zu Madagaskar die Frage einr territorialen “Endlösung der Judenfrage” aufwerfen, wobei man den nicht militärisch notwendigen Teil Madagaskars unter den Befehl eines deutschen Polizeigouverneurs (Reichsleiter Bouhler) stellen wollte. Hierzu sollte Frankreich dem Reich Madagaskar zu Verfügung stellen. Diese Maßnahme sollte zu Beginn der Planungen etwa 3, 25 Millionen Menschen betreffen wie Franz Rademacher in einem Bericht des Auswärtigen Amtes Abteilung “Judenangelegenheiten” festhielt.
Im Herbst 1940 erkannte man die Hoffnungslosigkeit der Friedensverhandlungen mit
England. Man führte den Plan Madagaskar zwar offiziell noch einige Monate weiter, doch hinter den Kulissen begann man nach neuen Möglichkeiten zu suchen. Nun war man in der “Judenfrage” keinen Schritt weitergekommen. Nach dem der Friedensvertrag mit England gescheitert war, nach dem man erkennen musste dass auch ein “Faustpfand Jude” oder gar ein Plan Madagaskar keine reale Lösung brachten, kehrte man Ende des Jahres wieder zu den alten Plänen zurück. Die Konzentration im Osten sollte wieder Priorität bekommen. Um der dadurch gegebenen Gefahr, eines “Einsickerns rassisch minderwertigen Blutes” zu verhindern, griff Himmler auf eine Möglichkeit zurück die im Zuge der “Sozialmedizinischen Eingriffe” hinlänglich erprobt worden war, die Möglichkeit der “Zwangssterilisation”. Wahrscheinlich für jene Halbjüdischen– Prominenten und Geltungsjuden die man auch rechtlichen Gründen nur schwer deportieren konnte. Mit diesen Gedanken musste Himmler schon Ende 1940 spekuliert haben. In diesem Sinne wird er mit Viktor Brack Kontakt aufnehmen um diesen Plan prüfen zu lassen. Doch die für Himmler grundlegenden Problemstellungen lagen ganz wo anders. Eine Deportation in ein Judenreservat oder Ghetto stellte die Frage nach Nahrungsmittel, und des enormen Aufwands einer Überwachung für Millionen Menschen. Mit dem nun angestrebten Ostfeldzug kamen für Himmler zwar erneut Millionen Juden als “Problemstellung” hinzu, jedoch auch ganz neue Möglichkeiten diese Problemstellungen einer endgültigen Lösung zuzuführen. Heydrich wird im Dezember erneut den persönlichen Befehl Hitlers bekommen sich dem Judenproblem zu widmen. Nun im Zeichen der zu erwartenden neuen Ostgebiete, im Kontext eines zu erwartenden Feldzuges gegen die Sowjetunion.
JUNI 1940
Reinhard Heydrich sieht keine Möglichkeit mehr für eine jüdische Auswanderung “Judenfrage könne durch Auswanderung nicht mehr gelöst werden. Eine -territoriale Endlösung – wird daher notwendig.” Dieses Schreiben bezieht sich auf alle offizellen “Möglichkeiten der Judenauswanderung” Die Heydrich 1942 als die “legalen” Auswanderungsmöglichkeiten bezeichnete, wie zb die Auswanderung in die Vereinigten Staaten über Visa und gegen hohe Geldforderungen.
3 JUNI
DAS AUSWÄRTIGE AMT-
Die Frage der jüdischen Menschen und deren “Aussiedlung” erreichte nun die Ministerialebene. Aussenminister Ribbentrop richtete in diesem Sinne nun eine zentrale Stelle im Aussenministerium ein deren Ziel, die Koordination mit allen Dienststellen des Reiches war, die in der Judenfrage eine maßgebende Rolle spielten. Sie definierte die Möglichkeiten und Verhandlungsziele aus Sicht des Auswärtigen Amtes, also aus Sicht der aussenpolitischen Interessen und führte die Verhandlungen. In diesem Sinn versuchte Franz Rademacher, vorerst die wichtigsten Punkte und Zusammenhänge für die künftige Judenpolitik zusammen zu fassen, Zuständigkeiten auszuloten, und grundsätzliche Richtlinien vorzugeben.
“1. Erbitten einer grundsätzlichen Festlegung des deutschen Kriegsziels in der Judenfrage von Herrn Reichsaussenminister.
Möglichkeiten:
a) Alle Juden aus Europa,
b) Trennung zwischen Ost- und Westjuden; Ostjuden, die den zeugungskräftigeren und talmudsicheren Nachwuchs für die jüdische Intelligenz bilden, bleiben als Faustpfand in deutscher Hand (Lublin?), um die Amerika-Juden lahmzulegen. Westjuden aus Europa (Madagaskar?),
c) jüdisches Nationalheim in Palästina (Gefahr eines 2.Roms!).
2. Aufnahme engerer Besprechungen mit den interessierten innerdeutschen Partei-, Staats- und wissenschaftlichen Stellen. Erfassen und Abstimmen ihrer Pläne auf die Wünsche des Herrn Reichsaussenministers.
3. Sammeln der sachlichen Unterlagen (Anzahl der Juden in den einzelnen Ländern, die für die Evakuierung notwendigen Geld- und Transportmittel und die dafür möglichen Fristen usw.).
4. Für diese Arbeit notwendig: Sofortige Verstärkung des Referats D III um einen geschickten, jüngeren Konsulatssekretär und eine Schreibdame, sowie Zuweisung eines neuen Attachés an Stelle des zum Ref. Partei überwiesenen Attachés Neuwirth” (a.a.O., Bl.229).
2/3 JULI –
LÖSUNG MADAGASKAR
Franz Rademacher aus dem Auswärtigen Amt verfasst seine Schrift zur Frage Madagaskar
DIE SICHT DES AUSWÄRTIGEN AMTES
Legationssekretär im Auswärtigen Amt Judenreferat der Deutschlandabteilung DIII Franz Rademacher
Nun nach dem man im Juni die ersten Grundsätzlichen “Überlegungen” festgelegt hatte und man sich mit Himmlers Polizeidienststellen in Verhandlungen über die “Judenfrage” befand, kam man zu den ersten außenpolitischen “Richtlinien”, wie Franz Rademacher festhielt:
“Die Lösung Madagaskar bedeutet vom deutschen Standpunkt aus gesehen, Schaffung eines Großghettos. Nur die Sicherheitspolizei hat die nötigen Erfahrungen auf diesem Gebiet, Sie hat die Mittel, eine Flucht von der Insel zu verhindern. Sie hat weiter die Erfahrung darin, Strafmaßnahmen, die wegen feindseliger Handlungen von Juden in USA gegen Deutschland erforderlich werden, in der geeigneten Weise durchzuführen.”
12 JULI
Hans Frank hat sein wesentlichstes Ziel erreicht, die Deportationen ins Generalgouvernement sind gestoppt, so hält er vor seinen Ressortchefs in Krakau fest: „Sehr wichtig ist auch die Entscheidung des Führers, die er auf meinen Antrag gefällt hat, dass keine Judentransporte ins Generalgouvernement mehr stattfinden. Allgemein politisch möchte ich dazu sagen, dass geplant ist, die ganze Judensippschaft im Deutschen Reich, im Generalgouvernement und im Protektorat in denkbar kürzester Zeit nach Friedensabschluss in eine afrikanische oder amerikanische Kolonie zu transportieren. Man denkt an Madagaskar, das zu diesem Zweck von Frankreich abgetreten werden soll „
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15 August
Das RSHA (Reichsicherheitshauptamt SS/SD) hatte schon im Juni den Auftrag des Auswärtigen Amtes erhalten im Kontext des Madagaskarplans genauere Details auszuarbeiten. Am 15 August erhält das Auswärtige Amt Eichmanns Projektplanung. Eichmann bezweifelt wie auch schon Heydrich eine Lösung des Judenproblems durch normale Auswanderung noch erreichen zu können. Daher meint er “Zur Vermeidung dauernder Berührung anderer Völker mit Juden ist eine Überseelösung insulare Charakters jeder anderen vorzuziehen.” In Frage kämen hierbei sämtliche Juden aus Ost und West die er auf etwa 4 Millionen beziffert.
Die Antwort des RSHA Reichs Sicherheit Haupt Amtes sah folgendermaßen aus:
SS-Obersturmführer Theo Dannecker – Eichmanns enger Mitarbeiter (Judenreferent)
(Quelle Bild: Holocaust Research Project)
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Der „Madagaskar-Plan“
Theo Dannecker SS-Obersturmführer Berlin W 62, den 15. August 1940, Kurfürstenstraße 116
Herrn Legationssekretär Rademacher Berlin
Lieber Kamerad Rademacher!
Durch Boten übersende ich ein Exemplar der Ausarbeitung „Madagaskar-Projekt“ für Ihren persönlichen Gebrauch. Ich darf um besonders vertrauliche Behandlung bitten.
Heil Hitler!
Urschriftlich mit der Bitte um Rückgabe
Herrn Gesandten Luther zur Kenntnis vorgelegt. Der Plan selbst ist durch Gruppenführer Heydrich an Herrn Reichsaußenminister unmittelbar weitergeleitet worden, von dort über Kult E zu D III gelangt, von mir an Pol III geleitet. Das anliegende Stück hatte ich inzwischen unmittelbar erhalten. Ich war von der Absicht Heydrichs informiert worden, worüber ich gleich telefonisch an Sie nach Fuschel berichtet habe.
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I. Lage und Grundsätzliches.
a) Mit der Errichtung des Generalgouvernements Polen und der Eingliederung der neuen deutschen Ostgaue kamen große Massen von Juden unter unmittelbare deutsche Hoheitsgewalt. Dazu kommen noch die in den unter deutscher militärischer Oberhoheit stehenden Gebieten ansässigen Juden. Die bisherige Praxis zeigte, daß schon die Lösung des jüdischen Problems im Reichsgebiet einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren im Wege der Auswanderung infolge der allenthalben auftretenden Schwierigkeiten (verschärfte Einwanderungsgesetzgebung überseeischer Länder, Passagen- und Devisenbeschaffung usw.) in absehbarer Zeit schwer zum Ende geführt werden kann. Nach dem Hinzukommen der Massen des Ostens ist eine Bereinigung des Judenproblems durch Auswanderung unmöglich geworden.
b) Insgesamt ist augenblicklich mit einer Zahl von rund 4 000 000 Juden zu rechnen, die sich wie folgt zusammensetzt:
1. Deutschland etwa 743 000 2. Generalgouv. etwa 2 300 000 3. Protektorat etwa 77 000 4. Belgien etwa 80 000 5. Holland etwa 160 000 6. Luxemburg etwa 2 500 7. Dänemark etwa 7 000 8. Norwegen etwa 1 500 9. Slowakei etwa 95 000 10. Frankreich etwa 270 000
c) Die folgende Ausarbeitung stellt den Niederschlag der bisher seitens der Sicherheitspolizei geleisteten Vorarbeiten zu dem Projekt einer Ansetzung dieser rund 4000000 Juden in Madagaskar dar.
Zur Vermeidung dauernder Berührung anderer Völker mit Juden ist eine Überseelösung insularen Charakters jeder anderen vorzuziehen.
II. Geographisches. (Landkarte siehe Anlage I)
a) Klima.
Die Küsten der Insel sind infolge der hohen Temperatur und der dauernd feuchten Luft für Europäer ungesund. Ein großer Teil des Innenlandes bildet eine Hochlandstafel von 800—1500 m Durchschnittshöhe. Diese Zone ist für Europäer geeignet.
Die großen Niederschlagsmengen bedingen das Vorhandensein zahlreicher Wasserläufe und Sümpfe. Dadurch ist naturgemäß in den Niederungen Fiebergefahr vorhanden. Durch Trockenlegungen könnte der Seuchenausbreitung entgegengesteuert werden. Für ein Arbeitsprogramm sind schon hier große Aufgaben zu bewältigen.
b) Volkszahl und Land.
Das Gebiet der Insel entspricht mit fast 600 000 qkm der Größe Frankreichs, Belgiens und Hollands zusammen.
Insgesamt sind 3,8 Millionen Einwohner vorhanden, darunter 3 660 000 Madagassen, 11 000 Inder und Chinesen sowie 24 000 Europäer, hauptsächlich Franzosen.
c) Wirtschaft.
Industrien sind nur im geringen Umfange vorhanden. Neben dem Reis, der in allen Teilen des Landes angebaut wird, wächst Maniok (Wurzelpflanze, die hier die Kartoffel ersetzt), Kartoffel, außerdem Baumwolle, Erdnuß, Mais, Zuckerrohr, Kaffee, Tee, Nelken, Vanille, Parfümerie- und Medisialpflanzen werden ausgeführt. In den Höhenlagen bis 1000 Meter gedeihen Bananen, Orangen, Zitronen, Kokospalmen, Mango, Litschi, Avokado und Ananas.
Der hohe Viehbestand von ungefähr sieben Millionen Rindern gestattet zur Zeit einen Fleischexport. Die Ernährung ist demnach auch beim Hinzukommen von 4 Millionen Juden gesichert.
Teilweise Erzvorkommen sind vorhanden, aber mangelhaft ausgebaut.
d) Verkehrswege.
Das Eisenbahnnetz der Insel ist nur 600 km lang. Stabile Straßenanlagen, Wege und Brückenbauten müssen in großem Umfange noch geschaffen werden. Auch Stromregulierungen sind weitgehendst erforderlich. Ein großzügiges Arbeitsprogramm zum Ausbau der Verkehrswege würde auf Jahre hinaus Arbeitsmöglichkeiten schaffen.
Die örtliche Leitung des Territoriums müßte bemüht sein, die Wirtschaft dieses Landes autark zu gestalten, damit Verbindungen zwischen den Juden und der übrigen Welt im Rahmen des internationalen Handels ausgeschlossen werden.
Wo dies im Anfang nicht erreicht werden kann, sind deutsche Treuhandgesellschaften zur Lösung dieser Probleme anzusetzen.
III. Staatsrechtliche Form und gebietsmäßige Aufgliederung.
a) Madagaskar ist infolge des insularen Charakters zur Bildung eines jüdischen Reservates geeignet. Jeder Versuch jüdischer Eigenstaatlichkeit muß bei der Findung der staatsrechtlichen Form von vornherein ausgeschaltet werden. Gleichzeitig ist es notwendig, allen etwaigen Einspruchsversuchen, besonders seitens der USA, vorzubeugen.
Als staatsrechtliche Form erscheint aus diesen Gründen die Errichtung einer jüdischen Wohnstätte unter deutscher Oberhoheit gegeben. Tatsächlich müßte aber dieses Mandat im Innern als Polizeistaat aufgezogen werden.
Der Kriegsmarine und der Luftwaffe werden die notwendigen Stützpunkte und Landeplätze freigehalten.
b) Das Gesamtgebiet der Insel ist zweckmäßigerweise aus organisatorischen Gründen, besonders auch in Anbetracht der großen Entfernungen, in vier Distrikte zu unterteilen. Während dem Ansetzungshauptstab als Organisation zur Durchführung zentraler Aufgaben ein zu bildender jüdischer Ältestenrat zur Verfügung steht, haben sich am Sitz der Distriktsstäbe jüdische Distriktsgemeinden zu bilden, die wiederum in Bezirks- und örtliche Gemeinden aufgeteilt werden.
Der örtliche französische Verwaltungsapparat müßte unter Leitung der deutschen Behörden zeitweise weiterarbeiten. Dadurch ist eine dienstliche Entlastung der Ansetzungsstäbe, gleichwie der anderen etwa vorhandenen deutschen Behörden, gegeben.
IV. Organisation. (Organisationsplan siehe Anlag II)
A) Gesamtleitung.
Die Gesamtleitung liegt beim Chef der Sicherheitspolizei und des SD, welcher bereits mit Befehl des Reichsmarschalls vom 24.1.1939 als Sonderbeauftragter für die Judenauswanderung eingesetzt worden ist. Ihm obliegen die zentrale Steuerung der gesamten Aussiedelung und Ansetzung, die Regelung der Transportangelegenheiten, die gesamte Finanzierung, sowohl der Transporte als auch der Ansetzung, und die sicherheitspolizeiliche Aufsicht.
B) Aussiedelung.
1. Technische Durchführung. Zur technischen Durchführung der Aussiedelung werden folgende Aussiedelungsstäbe gebildet:
West: Für Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg
Mitte: Für Altreich mit Sudetenland einschließlich neue deutsche Ostgaue, Ostmark, Protektorat Böhmen und Mähren, Slowakei, Dänemark, Norwegen
Ost: Für Generalgouvernement Polen.
2. Im einzelnen: a) Altreich, Sudetengau, neue deutsche Ostgaue. Die zentrale Steuerung liegt in Händen der Reichszentrale für jüdische Auswanderung Berlin. Verantwortlich für die Durchführung sind hier die Inspekteure der Sicherheitspolizei und das SD, die durch ihre nachgeordneten Dienststellen zu ausführenden Organen werden. Letztere bedienen sich hinsichtlich der Durchführung im einzelnen der Bezirksverbände bzw. Ortsvereinigungen der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ bzw. in den Ostgauen der „Jüdischen Ältestenräte“.
b) Ostmark. Die zentrale Steuerung liegt bei der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien. Ihr steht zur Einzeldurchführung die Israelitische Kultusgemeinde Wien mit ihrem gesamten Apparat zur Verfügung. (Es handelt sich hier lediglich nur um etwa 50 000 Juden.)
c) Protektorat Böhmen und Mähren. Die zentrale Steuerung liegt bei der dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD unterstellten Zentralstelle für jüdische Auswanderung Prag. Für die Durchführung im einzelnen sind die Staatspolizeileitstellen in Prag und Brünn verantwortlich. Die jüdische Kultusgemeinde Prag hat als Trägerin des gesamten jüdischen organisatorischen Lebens im Protektorat die Einzelarbeiten zu leisten.
d) Slowakei. Nach dem Muster der Zentralstelle für jüdische Auswanderung wird mit dem Sitz in Preßburg ein besonderer Aussiedelungsstab unter Zuhilfenahme der örtlichen Behörden errichtet und dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD unterstellt.
e) Dänemark Während die Durchführung der Aussiedelung in den unter a), b), c) und d) genannten Gebieten größeren Umfang hat, kann die Aussiedelung in Dänemark, wo sich nur etwa 7500 Juden befinden, so vor sich gehen, daß ein Beauftragter des Stabes Mitte zusammen mit der zuständigen dänischen Polizeibehörde die verhältnismäßig kurze Zeit in Anspruch nehmenden Arbeiten durchführt. Soweit vorhanden, haben sich hier jüdische Gemeinden bzw. Organisationen an der Einzeldurchführung zu beteiligen.
f) Norwegen. Hier handelt es sich nur um etwa 1500 Juden, deren Abschub mit einem Transport erledigt ist.
g) Frankreich, Belgien, Holland, Luxemburg. Von dem Aussiedelungsstab West wird zu den zuständigen Polizeibehörden dieser Länder jeweils ein Beauftragter abgestellt.
Die Durchführung im einzelnen liegt bei den unteren Verwaltungs- bzw. Polizeibehörden der vier Länder. Dabei sind als Hilfsstellen die jüdischen Organisationen bzw. Gemeinden nach ihrer Reorganisation entsprechend dem Aufbau der Israelitischen Kultusgemeinden“ in Wien und Prag bzw. der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ heranzuziehen.
h) Generalgouvernement Polen. Die gesamte Verantwortung für die Aussiedelung im Generalgouvernement liegt beim Aussiedelungsstab Ost, der innerhalb des Stabes des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau tätig ist.
In den einzelnen Distrikten sitzen Distriktsbeauftragte, die unter Einschaltung der örtlichen Dienststellen der Sicherheitspolizei und des SD die Aussiedelungsaktionen durchführen. Dabei haben die Vorarbeiten zur Einzeldurchführung weitestgehend die jüdischen Ältestenräte durchzuführen.
3. Vorarbeiten. a) Alle mit der Durchführung beauftragten Dienststellen haben zunächst eine genaue Sichtung des gesamten Judentums ihres Gebietes vorzunehmen. Sie sind für die Beantragung und Ausstellung aller — für eine Abwanderung von Juden — notwendigen Vorarbeiten, wie Dokumentenbeschaffung für den Einzeljuden, Vermögenserfassung und Verwertung, sowie Eingliederung in die Transporte, verantwortlich. Die ersten Transporte sollen hauptsächlich Landwirte, Baufachleute, Handwerker und Handarbeiterfamilien bis zu 45 Jahren sowie Ärzte enthalten. Diese werden dann gewissermaßen als Vortrupp zum Zwecke der Vorbereitung der Unterbringung der nachfolgenden Mannen vorausgeschickt und angesetzt.
b) Die Juden dürfen bis zu 200 kg nicht sperrendes Gepäck pro Person mitnehmen. Jüdische Landwirte, Handwerker, Ärzte usw. müssen, soweit vorhanden, die gesamte in ihrem Besitz befindliche und zur Ausübung ihres Berufes notwendige Ausrüstung mitnehmen. Bezüglich der Mitnahme von Bargeld und Edelmetallgegenständen gelten die jeweiligen Bestimmungen.
c) Das zurückbleibende Vermögen der Ausgesiedelten ist der besonders dafür in jedem Lande zu errichtenden „Treuhandstelle für das Judenvermögen“ zu melden. Der Gesamterlös nach Verkauf der unbeweglichen Vermögensteile wird dann einem zu errichtenden Zentral-Aussiedelungsfonds zugeführt, der nach dem Muster des Auswanderungsfonds in Wien bzw. des Auswanderungsfonds Böhmen und Mähren erstellt wird und sich dieser Fonds und allfällig weiterer Landesfonds als Untergliederung bedient.
C) Transporte.
1. Schiffsraum. Um einen rohen Überblick über den notwendigen Schiffsraum zu erhalten, wird unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Fassungsvermögens von 1500 Personen pro Schiff folgende Überschlagsrechnung niedergelegt: Nimmt man für Hin- und Rückfahrt einschließlich der notwendigen Aufenthalte etwa 6o Tage an, dann kommt man zum Ergebnis, daß beim Vorhandensein von 120 Schiffen ähnlichen Inhaltes täglich zwei Transporte mit demnach insgesamt 3000 Juden durchgeführt werden könnten.
Pro Jahr würde das eine Zahl von rund 1 Million Juden ergeben. Die Dauer der Durchführung des gesamten Projektes könnte deshalb auf etwa vier Jahre festgesetzt werden. Nach dem Friedensschluß wird zweifellos die deutsche Handelsflotte anderweitig sehr stark in Anspruch genommen sein. Es wird deshalb notwendig, im Friedensvertrag mit aufzunehmen, daß zum Zwecke der Lösung des Judenproblems sowohl Frankreich als auch England den erforderlichen Schiffsraum zur Verfügung stellen.
2. Finanzierung der Transporte. Die Finanzierung der Transporte wäre im wesentlichen der in den Westmächten ansässigen Judenschaft anläßlich des Friedensvertrages als Wiedergutmachung für jenen Schaden aufzuerlegen, der im Verfolg der Auswirkung des Versailler Vertrages durch die Juden dem Deutschen Reiche in wirtschaftlicher und sonstiger Beziehung zugefügt wurde.
D) Ansetzung.
1. Ansetzungshauptstab. Der Ansetzungshauptstab des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, dessen Sitz noch zu bestimmen wäre, ist als die direkt Berlin verantwortliche Stelle für die Gesamtleitung der Ansetzung zuständig. Ihm obliegt das gesamte Sicherungswesen, die Transportannahme und -Verteilung (Einwanderungskontingente), das Melde- und Auskunftswesen, Ernährungswesen, Finanzwesen und Währungsfragen, Nachrichtenwesen sowie Aufbau und Kontrolle des jüdischen Gemeinwesens.
2. Ansetzungsstäbe. Die in den Distrikten arbeitenden Ansetzungsstäbe I—IV, deren Standorte gleichfalls noch zu bestimmen sind, tragen die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Befehle des Hauptstabes und die unbedingte Einhaltung der von diesem erteilten generellen Richtlinien in ihren Distrikten.
Die jüdischen Distriktsgemeinden unterstehen direkt dem jeweiligen Ansetzungsstab, der seinerseits entsprechend den ihm gegebenen Richtlinien die notwendigen Einzelentscheidungen an Ort und Stelle fällt.
Hauptaufgabe der Ansetzungsstäbe in den Distrikten ist ferner die Kontrolle der zweckmäßigen Ansetzung jüdischer Arbeitskommandos mit dem Ziele, die Unterbringungsmöglichkeiten für die nachfolgenden Transporte zu sichern und zu erreichen, daß insoweit eine sofortige Einschaltung in den Produktionsprozeß erfolgt, als dies zur Bestreitung des jüdischen Eigenbedarfs nötig ist.
3. Arbeitsweise. Als Grundlage wird durch ein Vorkommando überschlagsmäßig nach Festlegung der Distriktsgrenzen die vermutliche Aufnahmefähigkeit festgestellt. Dann erfolgt die Festsetzung der Schlüsselzahlen für die einzelnen Distrikte.
Die Ansetzungsstäbe der Distrikte können nach Bekanntgabe der Schlüsselzahlen an eine großzügige Planung unter laufender Beteiligung des Ansetzungshauptstabes herantreten.
E) Jüdisches Gemeinwesen.
Wie bereits ausgeführt, wird ein einsatzfähiger jüdischer Organisationsapparat aufgebaut werden, dessen Haupttätigkeit darin besteht, den gegebenen Anordnungen der Ansetzungsstäbe schnellstens Geltung zu verschaffen. Diese Methode hat sich bei der Arbeit der Zentralstelle für jüdische Auswanderung bestens bewährt und wälzt einen Großteil der Arbeit auf die Juden selbst ab.
Die jüdischen Distriktsgemeinden haben die Bezirks- und Ortsgemeinden so durchzuorganisieren, daß während der Durchführung der Ansetzung eine reibungslose Abwicklung gewährleistet erscheint. Ferner haben jüdische Baufachleute und geschulte Landwirte, die mit den Vortrupps ins Land kommen, unverzüglich innerhalb der einzelnen jüdischen Gemeinden an den Ausbau und Aufbau landwirtschaftlicher Siedelungen sowie an die verkehrstechnische Erschließung des Landes heranzugehen.
Die Juden haben ferner für die geordnete Lebensmittelversorgung durch Errichtung eines Verteilungsapparates auf genossenschaftlicher Basis zu sorgen.
Um die sanitäre Betreuung einigermaßen zu sichern, haben die jüdischen Stellen auf die richtige Verteilung aller vorhandenen Ärzte innerhalb der Gebiete zu achten.
F) Finanzierung.
Die Durchführung der vorgeschlagenen Endlösung erfordert bedeutende Mittel. Es ist zu unterscheiden zwischen Mitteln, die für die Aussiedelung der Juden aus dem Reichsgebiet einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren, den neuen deutschen Ostgebieten und dem Generalgouvernement aufgebracht werden und solchen Mitteln, die für die Aussiedelung der Juden aus den Ländern in Frage kommen, die bei der Endlösung berücksichtigt werden sollen. Die Aufbringung der letzteren Mittel wäre durch entsprechende Bedingungen anläßlich der Friedensvertragsverhandlungen etwa durch Auflegung einer Kontribution auf das Judenvermögen dieser Länder zu erreichen.
Diese durch Kontribution aufkommenden Mittel können zweifellos bedeutend größer gestaltet werden, als die innerhalb des Reichsgebietes einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren aufzubringenden, selbst unter Berücksichtigung der Heranziehung des gesamten jüdischen Privateigentums im Reichsgebiet, Protektorat Böhmen und Mähren, den neuen deutschen Ostgebieten und Generalgouvernement. Durch einen entsprechenden Verteilerschlüssel muß der notwendige Ausgleich dieser beiden Aufbringungsgruppen hergestellt werden. Ebenso wäre noch die Frage zu klären, ob bezüglich der Aufbringung der Mittel im Reichsgebiet, im Protektorat Böhmen und Mähren, in den neuen deutschen Ostgauen und im Generalgouvernement Enteignungsmaßnahmen geeignet erscheinen, oder aber ob diese Mittel in Form von freiwilligen Rechtsgeschäften unter Einschaltung der jüdischen Kultusgemeinden Prag und Wien, der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und der jüdischen Ältestenräte in den Ostgebieten aufzubringen wären.
G) Vorausmaßnahmen.
Im Falle der endgültigen Bestimmung Madagaskars zur Judenwohnstätte wird vorgeschlagen, ein Kommando der Sicherheitspolizei in entsprechender fachlicher Zusammensetzung an Ort und Stelle zu entsenden.
Aufgabe dieses Vorkommandos ist es, folgende Feststellung zu treffen:
1. Gesamtaufnahmefähigkeit. 2. Möglichkeiten der Erweiterung der Aufnahmefähigkeit durch Lagererrichtung u. ä. 3. Verwendbarkeit der unteren französischen Verwaltungsbehörden bezüglich der Verteilung und Einordnung ankommender Transporte. 4. Allgemeine Verpflegungslage. 5. Landwirtschaft und Wirtschaft allgemein, Arbeitseinsatz. 6. Landemöglichkeiten, Verkehrswege.
Nach Vorliegen des Berichtes des Vorkommandos werden unter Heranziehung der örtlichen französischen Verwaltungsbehörden Vorbereitungsaufgaben in Angriff genommen.
Es wird vorgeschlagen, daß bei den Friedensverhandlungen für den Bereich dieser Angelegenheit ein Beauftragter des RF-SS und Chefs der Deutschen Polizei miteingeschaltet wird.
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30 August
Am 30 reagiert das Auswärtige Amt, die Verhandlungen mit dem Reichsicherheitshauptamtes waren vorerst zu folgenden Ergebnis gekommen.
“Nachdem auf Vorschlag der Abteilung Deutschland der Herr Reichsminister entschieden hatte, dass die Lösung der Judenfrage im Friedensvertrag von dem Referat D III in der Abteilung Deutschland im Einvernehmen mit den Dienststellen des Reichsführers SS bearbeitet werden sollte, habe ich den anliegenden Grundriss eines Planes zur Lösung der Judenfrage im Friedensvertrage entworfen. Dieser Plan ergibt als praktische Arbeitseinteilung:
1. Führen der Verhandlungen mit den Feindmächten auf Grund des Friedensvertrages und mit den übrigen europäischen Staaten auf Grund von Sonderverträgen – Auswärtiges Amt.
2. Erfassen der Juden in Europa, Transport nach Madagaskar, ihre Ansiedlung dort und die zukünftige Verwaltung des Insel-Ghettos – Reichssicherheitshauptamt.
3. Erfassung des jüdischen Vermögens in Europa, Gründen einer intereuropäischen Bank, die dieses Vermögen treuhänderisch zu verwalten und zu verwerten, sowie die Finanzierung des Ansiedlungsunternehmens durchzuführen hat – Dienststelle des Vierjahresplanes, Staatsrat Wohltat.
4. Das propagandistische Vorbereiten und Sichern des Planes gegen eine evtl. Hetzwelle aus USA:
a) für den Bereich des Inlands das Propagandaministerium, Oberregierungsrat Dr. Taubert, mit seiner “antisemitischen Aktion”,
b) für den Bereich des Auslandes die Informationsabteilung des Auswärtigen Amts.
Gemäss dieses Grundplanes bin ich an die einzelnen Dienststellen herangetreten. Auf meine Anregung hin und in enger Fühlungnahme mit mir ist dann der Madagaskarplan des Reichssicherheitshauptamtes entstanden…. Um den Plan sachlich weiter zu fördern, ist es jetzt an der Zeit
a) die erwähnten innerdeutschen Dienststellen zu einer Besprechung im Auswärtigen Amt zusammenzurufen und eine vorbereitende Kommission zusammenzustellen,
b) an die Franzosen heranzutreten, damit sie dieser Kommission die Einreise nach Madagaskar gestatten,
c) entsenden der Kommission auf 1-2 Monate nach Madagaskar, um an Ort und Stelle die Einzelfragen der Ansiedlung und deren Vorbereitung festzustellen…” (a.a.O., Bl.195/196).
Quellen:
FRAGE MADAKASKAR UND FRANZ RADEMACHER
siehe zb Heinrich Himmler Biografie
Longerich Peter S525 (106)
Juni 1940
MÜNCHEN 1998 in MARIO DEDERICHS
HEYDRICH Biografie S117 aus Peter Longerich POLITIK DER
VERNICHTUNG-Eine Gesamtdarstellung der
nationalsozialistischen Judenverfolgung
3 Juni zitiert aus dem Gerichtsurteil gegen Franz Rademacher
Lfd.Nr.673 es handelt sich hierbei um die Denkschrift
“Überblick über die neu aufzunehmenden,
vordringlichen Aufgaben des Referats D III”
QUELLE :UNIVERSITÄT VON AMSTERDAM vgl.Anatomie des SS Staates S604
es handelt sich hierbei um das Nürnbg.Dok. NG 5764
2/3 Juli DIE SICHT DES AUSWÄRTIGEN AMTES
Heinrich Himmler Biografie
Longerich Peter S525/107
15 August Der Madagaskarplan Hans Jansen Der Madagaskaplan S. 341ff Es handelt sich um das Dokument NG-2586 – Wir danken auch NS Archiv de
August zitiert aus dem Gerichtsurteil gegen Franz Rademacher
Lfd.Nr.673 Vortragsnotiz vom 30.8.1940 QUELLE :UNIVERSITÄT VON AMSTERDAM